Nicht im Handel Sonderabdruck aus Vol. II, 1956, Fase. 1

ASTRONAUTICA ACTA

Herausgegeben von W. v. Braun, A. Ettla, J. M. J. Kooy, E. Sänger, K. Schütte, L. R. Shepherd und J. Stemmer

Schriftleitung: F. Hecht, Wien
Springer-Verlag in Wien Alle Rechte vorbehalten


Relativistische Zeitdiiatation eines künstlichen Satelliten

Von

F. Winterberg1, GfW

(Eingelangt am 10. August 1955)

Zusammenfassung. Bei Berücksichtigung der Relativitätstheorie treten meßbare Zusatzglieder zum Doppler-Effekt auf, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der einsteinischen Zeitdilatation stehen. Beim vorliegenden Problem darf jedoch nicht die spezielle Relativitätstheorie, sondern muß entsprechend dem Vorhandensein von Gravitationsfeldern die .allgemeine Relativitätstheorie zugrunde gelegt werden. Die Überlegungen, die für den Doppler-Effekt maßgebend sind, übertragen sich dabei sinngemäß auf Uhren auf dem Satelliten und auf der Erde, deren Gang verglichen wird. Die Messung der Abweichung des Uhrenganges und damit die Messung der Zeitdilatation wird ermöglicht durch Vergleich zweier mit Molekülresonanzlinien gesteuerter Quarzuhren (sog. Atomuhren) auf dem künstlichen Satelliten und auf der Erdoberfläche. Es zeigt sich dabei, daß die auf einem künstlichen Satelliten befindliche Uhr gegenüber einer auf der Erdoberfläche aufgestellten im Laufe eines Jahres nm einige tausendstel Sekunden und damit um einen meßbaren Betrag nachgeht.

Abstract. Considering the theory of relativity there come forth measurable supplement limbs of the Doppler effect which are closely connected with Einstein's dilatation of time. In the problem at hand the basic element is not the Special Theory of Relativity but, according to the existence of fields of gravitation, it is the General Theory of Relativity. The considerations which are competent for the Doppler-effect are transferred logically to clocks on the satellite and on the earth, the motion of which is compared. The measuring of the divergence of the motion of the clock and thus the measuring of the time dilatation is made possible through comparison of two quartz-clocks (so-called atomic clocks) with molecule resonance lines on the artificial satellite and on the surface of the earth. Thereby it shows that the clock on the artificial satellite compared with a clock placed on the surface of the earth, in the course of a year will lose several thousandths of a second, that is, a measurable amount.

Eesume. La theorie de la relativite introduit dans l'effet Doppler des tennes additionnels mesurables qui sont en relation avec la dilatation du temps. En raison de la presence d'un champ de gravitation il faut appliquer la theorie de la relativite generalisee. Les considerations pertinentes ä l'effet Doppler s'appliquent aussi bien ä la mesure du temps ä la surface d'un satellite et ä la surface de la terre. En utilisant des horloges ä quartz, asservies ä une frequence de resonance moleculaire, le faible ecart que presente la comparaison pourrait etre decele. Le calcul montre en effet que sur une periode d' un an l'horloge du satellite artificiel doit retarder de quelques milliemes de secondes.

I. Einleitung

Aus der elementaren Theorie des Doppler-Effekts ergibt sich, bekanntlich eine Frequenzänderung der Strahlung eines relativ zu einem ruhenden Beobachter bewegten Senders, wobei die Frequenzänderung proportional dem Verhältnis v/c ist. Dabei ist v die Komponente der Geschwindigkeit des Senders in ^Richtung auf den Beobachter hin und c die Lichtgeschwindigkeit.

Die relativistische Behandlung des Doppler-Effekts führt neben diesem sogenannten longitudinalen Doppler-Effekt noch auf den transversalen Doppler-Effekt, der in erster Näherung proportional (v/c)2 ist, wobei v aber jetzt der Absolutbetrag der Geschwindigkeit sein soll. Dieser sogenannte transversale Doppler-Effekt hängt eng mit der einsteinschen Zeitdilatation zusammen und ist von der Bewegungsrichtung des Senders relativ zum Beobachter unabhängig. Die Überlegungen, die für den Doppler-Effekt maßgebend sind, übertragen sich auf die Frage nach dem Gang von zwei Uhren im System des bewegten Senders und in demjenigen des Beobachters.

Setzen wir eine periodische Bewegung des Senders relativ zum Beobachter voraus, wie sie beim künstlichen Satelliten gegeben ist, so wird beim Vergleich des Ganges der Uhr auf dem Satelliten mit dem Gang der Uhr des Beobachters - der gewöhnliche Doppler-Effekt (longitudinaler Effekt) ein periodisch schwankendes Vor- und Nachgehen der Uhr des Satelliten gegenüber der Uhr des Beobachters bewirken. Anders beim transversalen Doppler-Effekt, der zu einem stetigen Anwachsen des Gangunterschiedes der auf dem' Satelliten befindlichen Uhr gegenüber der Uhr des Beobachters führen wird.

Zur Messung des hierbei auftretenden Gangunterschiedes sind gewöhnliche Quarzuhren noch zu ungenau und daher ungeeignet. Neuerdings sind aber Quarzuhren von unerhörter Genauigkeit entwickelt worden, bei denen die Temperatur des Steuerquarzes mit einer Molekülresonanzhnie geregelt wird. Diese sogenannten Atomuhren haben die Genauigkeit von 10-12 in ihrem Gang. Sie werden sich zur Nachprüfung des hier beschriebenen Effekts eignen.

In Verbindung mit dem Bau eines künstlichen Satelliten ergibt sich, damit eine neue Möglichkeit zur Nachprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie,

H. Allgemeine Theorie des Doppler-Effekts von zwei in einem Gravitationsfeld sieh bewegenden Körpern

Die hier erläuterte allgemeine Doppler-Fonnel findet sich in dem bekannten Buch von Tolman1.

Als Lösung der einsteinschen Feldgleichungen der Gravitation ergibt sich .allgemein erne nichteuklidische Form des vierdimensionalen Linienelements

wobei über doppelt vorkommende griechische Indizes nach Vereinbarung zu summieren ist. Die Lage von Sender und Empfänger sind Funktionen der Zeit, wobei dem Sender der Index 1 und dem Beobachter der Index 2 gegeben werde. "Weiters sei angenommen, daß zur Zeit t1 ein Signal den Sender verläßt und zur Zeit t2 den Beobachter erreicht. Zwischen beiden Zeiten besteht eine Abhängigkeit . der Form

Durch Gl. (3) ist das Verhältnis eines Zeitintervaus von zwei gleichen, im System des Senders und des Beobachters befindlichen Uhren festgelegt.

HL Spezialisierung auf ein zentralsymmetriselies Gravitationsfeld

Gl. (3) soll nun auf den Fall eines zentralsymrn.etrischen Gravitationsfeldes angewandt werden, wie er bei einem im Erdkraftfeld sich bewegenden Satelliten vorliegt.

Die Lösung der Feldgleichnngen ist dabei durch das schwakzschildsche Linienelement gegeben, das in sphärischen Polarkoordinaten lautet:

ist, mit der Abkürzung a = G M/c2, wo G die Gravitationskonstante, M die Erdmasse und c die Lichtgeschwindigkeit ist. Zur Aufstellung der Abhängigkeit (2) setzen wir

dabei ist s der Abstand des Satelliten vom Beobachter zur Zeit i1. Gl. (6) gilt näherungsweise, wenn die Geschwindigkeit des Satelliten relativ zum Beobachter klein gegen die Lichtgeschwindigkeit ist. Zur Berechnung von s setzen wir außerdem gr = 1, was einer Vernachlässigung der Raumkrümmung gleich kommt.
Wir erhalten zunächst an Stelle von Gl. (3):

Die rechte Seite von Gl. (7) setzt sich aus einem periodischen, mit P(i1) multiplizierten, und aus einem „säkularen", linear mit der Zeit anwachsenden Teil . zusammen.

Im folgenden werden wir uns auf den säkularen Anteil beschränken, da er allein Anlaß zu einer relativistischen Zeitdilatation gibt, die sich nicht wie beim periodischen Teil im Zeitmittel heraushebt.

IV. Spezialisierung auf eine Kreisbahn

Um die Verhältnisse an einem einfachen Beispiel zu studieren, legen wir jetzt die Annahme einer Kreisbahn des künstlichen Satelliten zugrunde. Die Überlegungen lassen sich unschwer auf elliptische Bahnen erweitern.

Wir wollen annehmen, daß der Satellit sich mit dem Neigungswinkel * gegen die Äquatorebene bewegt. Um das vierdimensionale Linienelement des Satelliten zu berechnen, benützen wir die Invarianz von äs in Beziehung auf räumliche Drehungen und berechnen ds im Bezugssystem, das die Bahnebene als Grundebene hat. Unter diesen Voraussetzungen wird:

Für den Beobachter auf der Erde legen wir das äquatoriale Polarkoordinaten-system zugrunde. Dabei ist zu berücksichtigen, daß

Der letzte Term auf der rechten Seite von (12 a) beschreibt den Einfluß der relativ zum Satelliten erfolgenden Erdrotation auf die Zeitdilatation. Dieser Beitrag ist gegenüber den anderen Beiträgen von untergeordneter Bedeutung. Vernachlässigen wir der Einfachheit halber diesen Term, so zeigt sich das interessante Resultat, daß die Zeitdilatation für die durch die Bedingung

gegebene Höhe der Kreisbahn über der Erdoberfläche verschwindet.. Aus (13) folgt dafür: .

Da der Erdradius r2 = 6400 km beträgt, folgt für die Höhe der Kreisbahn h = r1 - r2 = 3200 km. Dieses Resultat ist deshalb bemerkenswert, weil ohne. Berücksichtigung der allgemeinen Relativitätstheorie sich dies nicht ergeben hätte. Wir wollen die Betrachtungen mit einem numerischen Beispiel beschließen, indem wir annehmen, daß der Beobachter auf der Erdoberfläche sich auf dem Nordpol befindet. In diesem Fall verschwindet das von der Erdrotation herrührende Glied. Weiter soll der Satellit in einer Höhe von 1650 km die Erde umkreisen. Damit ergibt sich:

Im Laufe.eines Jahres geht daher die auf dem Satelliten sich befindende Uhr gegenüber der auf der Erde befindlichen um 4,2 10-3 sec nach. Um den skizzierten Effekt reproduzierbar zu machen, ist es erforderlich, über Uhren zu verfügen, die mindestens mit einer Genauigkeit von 10-11 gehen. Dieser Forderung genügen die eingangs erwähnten Atomuhren. ' Sie erlauben den vorausgesagten Effekt auf zwei Dezimalen genau zu bestimmen.

Auf den hier hingewiesenen Effekt begründet sich eine neue eindrucksvolle Möglichkeit zur Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie.

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